Lass hören!
lokalist mitreißend. Fußball-Bilder im Kopf: Als ehrenamtlicher Blindenreporter beschreibt LBS-Bezirksleiter Stefan Haupt die Spiele des SC Freiburg für sehbehinderte Menschen.
Freiburg-Leipzig. Die letzten Minuten der Nachspielzeit laufen. Der Sportclub liegt zurück. Dann die dicke Chance für den SC! „Petersen läuft zentral in den Strafraum. Er bekommt den Ball. 14 Meter vorm Tor. Petersen dreht sich, zieht ab!“ Reporter Stefan Haupt sitzt auf der Haupttribüne, keine 10 Meter vom Spielfeld entfernt, und redet ohne Punkt und Komma ins Mikro. Seine Stimme wird lauter und schneller. Schlussphase. Volle Dramatik. Fällt der Ausgleich? „Der Torwart pariert. Jetzt kommt Höler ans Leder. Höler schießt! Zwei Meter rechts vorbei.“
Unter der Woche arbeitet Stefan Haupt als Bezirksleiter bei der LBS in Freiburg. Er betreut Selbstständige rund um Baufinanzierung oder Immobilienkauf. Doch an den Wochenenden sind solche Themen in weiter Ferne. Dann sorgt der Sparkassenfachwirt als ehrenamtlicher Blindenreporter dafür, dass auch sehbehinderte Fans des SC Freiburg im Fußballstadion ihren Spaß haben: „Wenn wir nicht reden, sind die Blinden wirklich blind“, sagt der 49-Jährige.
Seit 2014 machen die insgesamt fünf Blindenreporter des SC Freiburg das Stadionerlebnis für Menschen mit Sehbehinderung hörbar, Haupt ist von Anfang an dabei: „Blinde Menschen und Menschen mit Seh-Behinderung wollen Fußball erleben, genauso wie Menschen ohne Sehbeeinträchtigung. Deshalb müssen wir Spiele sehr genau beschreiben.“
Oder anders gesagt: Er und seine Kollegen übersetzen das, was auf dem Platz passiert, in lebendige Worte. Sie erzeugen Bilder im Kopf – und zwar rasend schnell, was eine ausgesprochen schwere Kunst ist. Der Blindenreporter muss sowohl das Spiel verstehen als auch sprachlich gewandt sein. Er darf gerne emotional mitgehen, sollte aber stets den kühlen Blick aufs Geschehen bewahren. Und er muss das, was er sieht, in Sekundenschnelle in mitreißende Formulierungen und eingängige Sprachbilder zusammenfassen, um dem Spielverlauf nicht hinterherzuhinken. „Wir können das Spiel nicht laufen lassen, ohne was zu sagen“, erklärt Haupt: „Wir sind immer auf Ballhöhe.“ Uff.
Es geht um Teilhabe
Sein Ehrenamt sieht er als Herzensangelegenheit: „Ich genieße es, etwas Gutes zu tun, und den Fans, die nicht alles auf dem Spielfeld sehen können, das einmalige Erlebnis zu vermitteln.“ Es gehe schließlich um Teilhabe. Die sehbehinderten Fans können per Funkkopfhörer der Reportage der Blindenreporter lauschen – und live in die volle Stadionatmosphäre eintauchen.
Im Vergleich zu einer Radioreportage sei eine Blindenreportage viel detaillierter: „Die exakte Verortung ist extrem wichtig, und zwar auf den Meter genau: Wo ist was auf dem Platz? Was passiert gerade genau? Wer hat den Ball? Wie schnell und in welche Richtung wird gespielt.“ Dabei beschreibt er auch, was sonst noch im Stadion passiert. Sehende Fans nehmen es sofort wahr, wenn SC-Trainer Christian Streich an der Seitenlinie wild gestikuliert und dafür eine gelbe Karte kassiert. Sie sehen die Choreografien der heimischen Fans oder dass im Gästeblock Pyrotechnik abgefackelt wird. „Sehbehinderte Fans spüren, wenn Unruhe im Stadion entsteht oder sie riechen, dass etwas brennt. Aber sie können das nicht einsortieren.“
Das Einsortieren übernehmen Haupt und seine Kollegen. Und weil es in den 90 Minuten eines Fußballspiels eine Menge zu berichten gibt, arbeiten die Blindenreporter immer zu zweit. „Wir reden ohne Unterlass, alleine wäre das schwierig.“ Während die Freiburger Spieler unten das Leder rund um den Strafraum der Leipziger kreisen lassen, spielen sich Haupt und sein Kollege Mario Ködel oben verbal die Bälle zu, etwa alle drei Minuten wechseln sie sich ab. Während sein Kollege spricht, gibt ihm Haupt mit Handzeichen Hinweise, dass sich gleich vier Freiburger Spieler warm machen. Steht ein Vierfachwechsel an?
Mitreißend auch auf dem Sofa
Die Blindenreporter sind bei jedem Heimspiel der ersten Männermannschaft des SC-Freiburg im Einsatz – und reisen auch zu wichtigen Auswärtsspielen: „Das DFB-Pokalfinale voriges Jahr in Berlin war ein Höhepunkt“, sagt Haupt. Er habe inzwischen fast 90 Spiele reportiert. Inzwischen sind die Reportagen der Freiburger Blindenreporter auch online als barrierefreies Fanradio abrufbar, über 2000 Menschen klinken sich jeden Heimspieltag ein, um den mitreißenden Reportagen per Internet zu lauschen. Nur eins fehlt beim Spielgenuss auf dem Sofa daheim: Die emotionale Wucht eines voll besetzten Fußballstadions. Und der Duft der Stadionwurst.
Live reinhören?
Infos und Livestream finden Sie hier.
Inklusionstickets
Tickets für Sehbehinderte kosten 9,– Euro inklusive Begleitperson.
Infos und Tickets unter scfreiburg.com/inklusionstickets/
Fotos: Patrick Kunkel